Die US-Inflation hat ihren tiefsten Stand seit zweieinhalb Jahren erreicht. Die Arbeitslosenquote blieb den längsten Zeitraum seit den 1960er Jahren unter 4 Prozent. Und die Wirtschaft der Vereinigten Staaten hat sich wiederholt den Prognosen einer bevorstehenden Rezession widersetzt. Doch laut einer Reihe von Umfragen haben die meisten Amerikaner eine düstere Sicht auf die Wirtschaft.
Unzufriedenheit & Unsicherheit
Vor kurzem berichtete die US-Regierung, dass die Verbraucherpreise von September bis Oktober überhaupt nicht gestiegen seien. Was das jüngste Anzeichen dafür sei, dass sich die Teuerungsrate gegenüber den Höchstständen des letzten Jahres stetig abkühle. Ein separater Bericht zeigte, dass die Amerikaner zwar ihre Einzelhandelskäufe im Oktober gegenüber dem Tempo des Vormonats verlangsamten, aber immer noch genug ausgeben, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Dennoch bezeichneten laut einer Umfrage des «Associated Press-NORC Center for Public Affairs Research» letzten Monat etwa drei Viertel der Befragten die Wirtschaft als schlecht. Zwei Drittel sagten, ihre Ausgaben seien gestiegen. Nur ein Viertel gab an, dass ihr Einkommen zunahm.
Diese Spaltung stellt eine politische Herausforderung für Präsident Joe Biden dar, während er sich auf seinen Wiederwahlkampf vorbereitet. Umfragen zeigen durchweg, dass die meisten Amerikaner Bidens Umgang mit der Wirtschaft missbilligen.
Für die Diskrepanz sind viele Faktoren verantwortlich, aber Ökonomen verweisen zunehmend auf einen ganz besonderen: die anhaltenden finanziellen und psychologischen Auswirkungen der schlimmsten Inflation seit vier Jahrzehnten. Trotz der stetigen Abkühlung der Inflation im vergangenen Jahr sind viele Waren und Dienstleistungen weiterhin deutlich teurer als noch vor drei Jahren.
Der Wunsch nach einer Deflation
Lisa Cook, Mitglied des Gouverneursrats der Federal Reserve, hat diese Dynamik in jüngsten Bemerkungen an der Duke University auf den Punkt gebracht. „Die meisten Amerikaner streben nicht nur nach einer Desinflation“ – einer Verlangsamung des Preisanstiegs. „Sie erwarten eine Deflation. Sie wollen, dass diese Preise wieder auf dem Niveau vor der Pandemie liegen. … Das höre ich von meiner Familie.“
Das gilt insbesondere für einige der Waren und Dienstleistungen, für die Amerikaner am häufigsten bezahlen: Brot, Rindfleisch und andere Lebensmittel. Aber auch Wohnungsmieten und Versorgungsleistungen bereiten den Bürgern Sorgen. Jede Woche oder jeden Monat werden Verbraucher daran erinnert, wie stark diese Preise gestiegen sind.
Deflation – ein weit verbreiteter Preisverfall – führt in der Regel dazu, dass Menschen und Unternehmen ungern Geld ausgeben, und ist daher nicht wünschenswert. Ziel sei vielmehr, sagen Ökonomen, dass die Löhne schneller steigen als die Preise, damit die Verbraucher immer noch die Nase vorn hätten. Wie sich die inflationsbereinigten Einkommen seit der Pandemie entwickelt haben, ist eine komplizierte Frage, da es schwierig ist, die Erfahrungen von rund 160 Millionen Amerikanern mit nur einer Kennzahl zu erfassen.